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Foto: coulourbox

Aus eigener Ernte – Die Geschichte des Dorfladens

Noch vor wenigen Jahrzehnten gehörten sie neben Kirche, Gemeindehaus und Schule fest zum Ortsbild von Dörfern und ländlichen Kleinstädten: die Dorf- oder Tante-Emma-Läden. Als Gemischtwarenhandlungen boten sie ein buntes Sortiment aus Waren des alltäglichen Gebrauchs und praktischen Besonderheiten: neben Lebensmitteln oft auch Textilien, Haushalts- und Kurzwaren, ebenso wie Zigaretten, Zeitschriften und Schreibwaren oder – wie in einem Kinderlied zu hören – Hustenbonbons, Alleskleber, Regenschirme, Leberkas, Körbe, Hüte, Lampen, Bürsten, Blumenkohl und Fensterglas, Lederhosen, Kuckucksuhren, und noch dies, und dann noch das.“ Hinzu kamen Dienstleistungen und Zusatzdienste als Post-, Lotto- oder Wäscheannahmestelle. Vor allem aber boten die zentral gelegenen Läden eine wichtige Anlaufstelle für Jung und Alt. Viele gaben hier ihr erstes Taschengeld für Süßigkeiten aus. Bekannte, Freunde und Nachbarn trafen sich beim alltäglichen Einkauf.

Durch die fortschreitende Mobilität und Motorisierung auch in ländlichen Regionen verlagerte sich die Nachfrage der Konsumenten mit der Zeit in den nächsten zentralen Ort mit Supermärkten und Facheinzelhandel. Preis- und Baupolitik machten die überregional agierenden Großmärkte auf der grünen Wiese zum Hauptkonkurrenten der ehemaligen Lebensmittel- und Kolonialwarenhandlungen. Vor allem in den 1980er Jahren mussten daher viele Dorfläden in der Bundesrepublik schließen. Die Ortschaften verloren damit einen wichtigen sozialen Treffpunkt – ein Verlust, der auch durch den Einsatz mobiler Läden und rollender Einkaufswägen oft nicht wett zu machen war.

Weil auch offene oder automatisierte Verkaufsstände von Obst- und Gemüsebauen den persönlichen Kontakt und Service vermissen lassen, sind alternative Konzepte der örtlichen Nahversorgung wieder auf dem Vormarsch: ob als familiärer Hofladen oder genossenschaftlich organisierter Betrieb – aktuelle Ladenkonzepte bieten wieder Raum für persönliche Begegnung und Kommunikation. Umweltbewusste Konsumenten kaufen hier regional, saisonal und umweltfreundlich ein. Zudem spielen Dorfläden als Grundversorgungsmöglichkeit vor allem für ältere und immobile Menschen im ländlichen Raum eine wichtige Rolle. Förderprogramme unterstützen daher entsprechende Konzepte auf verschiedenen Ebenen. 2016 wurde im Rahmen der Grünen Woche Berlin die Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden gegründet. Als Netzwerk zur Sicherung der ländlichen Daseinsvorsorge zielt die Interessensgemeinschaft auf die Verbesserung der Nahversorgung im ländlichen Raum und unterstützt bürgerschaftlich organisierte Dorfläden als Selbsthilfeeinrichtungen und kommunal geführte Dorfläden.
Vielerorts könnte ein zeitgemäß gestalteter und organisierter Tante-Emma-Laden so zur neuen Mitte einer Siedlung werden oder immer unscheinbarer gewordenen Ortskernen ein individuelles Gesicht geben – und das nicht nur in strukturschwachen Regionen.  

CLL