„Aus dieser Veranstaltung nehme ich mit, dass wir lauter werden müssen – in welcher Form auch immer, sei es politisch, sei es über Netzwerke. Das Ziel sollte eigentlich sein, dass jeder sein Leben so gestalten kann, wie er oder sie es möchte.“ Mit diesem Schluss-Appell der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Vechta Astrid Brokamp endete die Online-Diskussion des Projekts Zukunft der Dörfer, die sich mit der Zukunftsfähigkeit traditioneller Rollenbilder und aktueller Arbeitsmodelle zwischen Erwerbs- und Sorgetätigkeiten beschäftigte. Dazu hatten sich am vergangenen Mittwoch rund 20 Teilnehmer*innen aus der Region am virtuellen runden Tisch versammelt. Vertreten waren neben der Universität Vechta weitere Institutionen wie kommunale Gleichstellungsstellen und Familienbüros, das Bischöfliche Offizialat Vechta, die Oldenburgische Landschaft, Vertreter*innen von Kommunalpolitik und -verwaltung, Wirtschaftsförderung und überregionaler Medien.
Renate Hitz von der Koordinierungsstelle Frauen und Wirtschaft Oldenburger Münsterland benannte als aktuell größte Herausforderung für berufstätige Mütter und Väter „zeitlich alles unter einen Hut zu bringen und dass man sich dabei nicht selbst verliert.“ Verwischte Grenzen zwischen Familie, Schule und Beruf führten zu Unsicherheiten und Mehrfachbelastungen. Die Arbeitszufriedenheit vor allem von Frauen ist infolgedessen rapide gesunken. Doch was tun, um für Entlastung zu sorgen und nachhaltige Konzepte für die Gleichstellungsarbeit in der Region zu entwickeln – ohne dabei öffentlich kaum wahrgenommene Themen wie häusliche Gewalt, Altersarmut oder die Stellung von Allleinerziehenden zu vernachlässigen?
Viele Redner*innen sprachen sich für mehr Offenheit und Sensibilität im Umgang mit Rollen(vor)bildern aus, gerade in traditionell eher konservativem Umfeld. Polarisierende geschlechtsspezifische Zuschreibungen von Fähigkeiten und Kompetenzen müssten von Kindheit an vermieden werden, um schon lange vor der Familiengründungsphase größtmögliche individuelle Freiheiten bei Berufswahl und partnerschaftlicher Aufgabenteilung zu schaffen. Gleichwertigkeit unbezahlter Sorgearbeit und bezahlter Erwerbstätigkeit zu schaffen, wurde als größte strukturelle gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert. Hier gelte es, politisch Rahmenbedingungen zu schaffen – zum Beispiel durch die Option auf ein 30/30-Stunden-Arbeitszeitmodell für Lebenspartner*innen und flexible Kinderbetreuungszeiten.
Aus vielen Erfahrungsberichten wurde deutlich: Vor allem Frauen sind sich des Werts ihrer beruflichen Arbeit und ihres sozialen Engagements oft nicht bewusst. Auch hier können sichtbare Vorbilder in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Abhilfe schaffen. Doch Gleichstellungsbeauftragte konstatieren: „Grundsätzlich kommen Trends abgeschwächt oder verspätet im ländlichen Raum an. Individuelle Entscheidungen, zum Beispiel, dass Frauen zu Hause bleiben und sich um die Kinderbetreuung kümmern, müssen auch als bewusste Entscheidungen kommuniziert werden.“
Es gibt also noch viel zu tun auf dem Weg zum erklärten Ziel der beruflichen wie sozialen Gleichstellung der Geschlechter. Sich wie in der Online-Diskussion öffentlich zum Thema auszutauschen und die Problematik damit sichtbar zu machen, werteten alle Teilnehmer*innen als wichtigen Schritt in diese Richtung.
CLL